Der diesjährige Weltkongress der AIPPI im Oktober in Istanbul, wunderbar ausgerichtet von der türkischen Landesgruppe, war in vielerlei Hinsicht ein Erfolg. Dies gilt auch für das, was man als Kernaufgabe der AIPPI seit 126 Jahren bezeichnen könnte, nämlich die intensive Diskussion von international aktuellen Themen, genannt „Study Questions“, zur Erarbeitung von Empfehlungen für die weitere internationale Harmonisierung des Rechts des geistigen Eigentums. Die vier regulären Study Questions, zu denen zahlreiche Landesgruppen in den Monaten zuvor Berichte und Stellungnahmen erarbeitet hatten, waren – und sind:
- Patents: Doctrine of equivalents (Q284)
- Trade Mark: Proving trade mark use (Q285)
- Copyright: Collecting societies (Q286)
- General: Responsibility of online marketplaces for online infringement of industrial property rights (Q287)
Ziel der Diskussionen auf dem Kongress war jeweils die Verabschiedung einer Resolution, in der die Position der AIPPI, also die Position der Mehrheit ihrer mehr als weltweit 8.000 Mitglieder – in über 100 Landesgruppen –, festgehalten ist. Dieses Ziel wurde für jedes der Themen erreicht.
Resolution „Patents: Doctrine of equivalents“ (Q284)
Diese Resolution betrifft die Verletzung eines Patents nach der Äquivalenzlehre, insbesondere das Fehlen von Symmetrie zwischen Verletzung und Rechtsbeständigkeit und die Rolle von nicht beanspruchten, in der Patentschrift offenbarten alternativen Ausführungsformen bei der Bewertung der äquivalenten Verletzung.
Diese Resolution sollte insbesondere für das neue europäische Einheitliche Patentgericht (EPG/UPC) von Interesse sein, das naturgemäß noch nicht auf eigene Rechtsprechung zurückgreifen kann. Auch im Hinblick darauf war es erfreulich, dass mehrere EPG-Richter aus verschiedenen Ländern aktiv an dem Kongress teilgenommen haben, insbesondere auch als Richter eines „UPC Mock Trials“.
Die AIPPI hatte bereits auf ihrem Weltkongress in Luzern im Jahre 2003 eine Resolution zum Thema äquivalente Patentverletzung verabschiedet (Q175). Damals hatte die AIPPI die Position eingenommen, dass ein Merkmal zu einem Merkmal eines Anspruchs äquivalent ist, wenn „im Zusammenhang der beanspruchten Erfindung a) das betreffende Merkmal im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllt, um im Wesentlichen dasselbe Ergebnis zu erreichen wie das beanspruchte Merkmal, und b) der Unterschied zwischen dem beanspruchten Merkmal und dem betreffenden Merkmal nach dem Verständnis des Anspruchs durch einen Fachmann zum Zeitpunkt der Patentverletzung nicht wesentlich ist“. In Istanbul hat die AIPPI nun entschieden, dass die Resolution aus Luzern (Q175) dahingehend geändert wird, dass es nun heißt: „a) das betreffende Merkmal im Wesentlichen dieselbe Funktion auf im Wesentlichen dieselbe Weise, um im Wesentlichen dasselbe Ergebnis zu erreichen wie das beanspruchte Merkmal“. Zumindest begrifflich hat die AIPPI sich also für eine Erhöhung der Anforderungen für die Bejahung einer Verletzung mit äquivalenten Mitteln entschieden.
In Bezug auf Ausführungsformen, die in der Patentschrift als mögliche Alternativen des entsprechenden Elements („element“), das wörtlich in den erteilten Ansprüchen genannt ist, offenbart sind, hat die AIPPI beschlossen, dass für diese Ausführungsformen die äquivalente Verletzung nicht notwendigerweise ausgeschlossen ist, es sei denn, der Patentinhaber hat diese ausdrücklich und eindeutig aus den Ansprüchen ausgeschlossen, um einen Einwand gegen die Patentfähigkeit zu überwinden.
Darüber hinaus hat die AIPPI die Position eingenommen, dass die Äquivalenzlehre bei der Beurteilung der Patentfähigkeit einer Erfindung durch eine Erteilungsbehörde und bei der Beurteilung der Rechtsbeständigkeit eines erteilten Patents nicht zur Anwendung kommen darf.
Ferner hat die AIPPI – der Sache nach – den Formstein-Einwand der deutschen Rechtsprechung befürwortet: Eine Ausführungsform kann einen Patentanspruch nicht im Sinne der Äquivalenzlehre verletzen, wenn die Ausführungsform zum Stand der Technik gehört oder sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Resolution „Trade Mark: Proving trade mark use“ (Q285)
Diese Resolution, um deren Wortlaut in Istanbul noch bis zuletzt gerungen wurde, betrifft den Nachweis der ernsthaften Benutzung zur Aufrechterhaltung des Markenschutzes. Die AIPPI hat dazu insbesondere folgende Positionen eingenommen:
Der Nachweis der ernsthaften Benutzung einer Marke im relevanten Zeitraum sollte keinen Mindestanforderungen an Umfang oder Dauer der Benutzung unterliegen. Es sollte keine Einschränkungen hinsichtlich der Art der zulässigen Nachweise für die ernsthafte Benutzung geben. Alle Beweismittel sollten entsprechend den Umständen des Einzelfalls angemessen gewürdigt werden, basierend auf einer Gesamtschau aller vorgelegten Beweismittel.
Die Benutzung einer Marke in einer Form, die von der Eintragung abweicht, sollte als Benutzung der eingetragenen Marke angesehen werden, sofern die Abweichung Elemente betrifft, die den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht beeinflussen. Diese Beurteilung sollte einzelfallabhängig erfolgen. Die Resolution nennt Umstände, die bei der Prüfung, ob eine abgewandelte Benutzung als ernsthafte Benutzung der eingetragenen Marke angesehen werden kann, berücksichtigt werden sollten, sowie Abweichungen, die im Regelfall den kennzeichnenden Charakter der eingetragenen Marke nicht beeinflussen sollten.
Die Resolution nennt ferner Umstände, die bei der Beurteilung, ob die Onlinebenutzung einer Marke in der Rechtsordnung, in der die Marke eingetragen ist, als ernsthafte Benutzung angesehen werden kann, berücksichtigt werden sollten.
Im Hinblick auf die Benutzung einer Marke im virtuellen Umfeld bzw. in einem Metaversum vertritt die AIPPI die Auffassung, dass die Beurteilung, ob eine solche Benutzung als ernsthafte Benutzung der Marke auch für nicht virtuelle Waren oder Dienstleistungen angesehen werden kann, einzelfallabhängig erfolgen sollte. Unter anderem sollte dabei der Zweck der Benutzung der Marke im virtuellen Umfeld/Metaversum und der Bezug zu nicht-virtuellen Waren oder Dienstleistungen ebenso wie die Wahrnehmung der relevanten Verkehrskreise berücksichtigt werden.
Resolution „Copyright: Collecting societies” (Q286)
Diese Resolution ist die erste in der langen Geschichte der AIPPI, die sich mit Verwertungsgesellschaften beschäftigt. Sie betrifft die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten. Aus Sicht der AIPPI ist hier eine Harmonisierung erforderlich, zumal es bisher keinen Rahmen im internationalen Recht gibt.
Mit der Resolution fordert die AIPPI zunächst einmal, dass das jeweilige nationale Recht Verwertungsgesellschaften erlaubt und einen rechtlichen Rahmen für die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften bietet. AIPPI fordert darüber hinaus, dass die Regeln für Verwertungsgesellschaften, soweit dies nach nationalem Recht möglich ist, harmonisiert werden, um eine effiziente und faire Vergütung für die Rechteinhaber zu gewährleisten, die Vorhersehbarkeit, Angemessenheit der Bedingungen und die Erleichterung des Lizenzerwerbs für die Nutzer zu verbessern und um Transparenz, gleichen Zugang und faire Verteilung an die Rechteinhaber sicherzustellen. Die Resolution betrifft weiter die Auswahl von Verwertungsgesellschaften, Strukturen für die Festsetzung von Lizenzgebühren sowie die Durchsetzung der kollektiv wahrgenommenen Rechte.
Resolution „General: Responsibility of online marketplaces for online infringement of industrial property rights“ (Q287)
Diese Resolution betrifft die zivilrechtliche Haftung von Onlinemarktplätzen für die Onlineverletzung von gewerblichen Schutzrechten, insbesondere von Marken, Patenten und Designs. Die Verletzung von Urheberrechten fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Resolution.
Die AIPPI vertritt die Position, dass die Länder spezielle Digitalrechtsregelungen („special digital law regime“) schaffen sollten, die Onlinemarktplätzen sichere Häfen („safe harbours“) vor der Verantwortlichkeit (Haftung) nach dem allgemeinen Recht des geistigen Eigentums und dem allgemeinen Recht bieten, wobei bestimmte Faktoren zu berücksichtigen und bestimmte Bedingungen zu erfüllen sind.2
Damit die speziellen Digitalrechtsregelungen zur Anwendung kommen, sollte der Onlinemarktplatz eine neutrale oder passive Rolle im Hinblick auf die auf seiner Plattform gezeigten Verkaufsangebote haben. Die Resolution nennt Faktoren, die bei der Prüfung der neutralen oder passiven Rolle berücksichtigt werden sollen. Zu den Voraussetzungen dafür, dass sich ein Onlinemarktplatz im sicheren Hafen befindet, zählen, dass er keine Kenntnis von dem rechtsverletzenden Charakter des auf seinem Marktplatz angebotenen Produkts hat, dass er bei Kenntniserlangung schnell handelt, um den Zugang zu dem rechtsverletzenden Produkt zu beseitigen, dass er eine „online notice and take-down and stay-down procedure“ einrichtet und den Ausschluss von Verkäufern vorsieht, die wiederholt verletzende Produkte anbieten.
Sämtliche Resolutionen sowie auch die zur Vorbereitung verfassten Berichte der einzelnen Landesgruppen können in Kürze unter www.aippi.org kostenlos abgerufen werden. Die Berichte der einzelnen Landesgruppen fassen immer prägnant die aktuelle Rechtslage in dem jeweiligen Land zusammen. Auch die deutsche Landesgruppe hat Berichte zu den Study Questions eingereicht. Die Berichte sind jeweils von Teams aus fünf bis zehn erfahrenen Anwälten, Richtern, Wissenschaftlern, Inhouse-Juristen in englischer Sprache verfasst worden.
Autor

HARMSEN UTESCHER Rechtsanwaltspartnerschaft mbB,
Hamburg
Präsident der Deutschen Landesgruppe der AIPPI
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